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Datum: 01.04.2021

Wertvolle Ressourcen für die OZG-Umsetzung

Matthias Eisenblätter sieht die Notwendigkeit einer OZG-Umsetzungsallianz von Wirtschaft und Verwaltung

Deutschland im Jahr 2000: Die erste Welle der neuen Internet-Technologien fasziniert gleichermaßen Bürger und Wirtschaft. Eingewählt mit einem piependen Modem in ein Universitätsnetzwerk oder bei einem kleinen oder »großen« Internet Service Provider (ISP), z.B. AOL und meist »im Netz« unterwegs mit dem Netscape Navigator. In den Verwaltungen gehören zu dieser Zeit Begriffe wie elektronische Akte, Serviceportale, E-Government-Gesetz oder gar Onlinezugangsgesetz in den Bereich der Utopien. Praxis ist, dass in den Kommunen oft über 1000 verschiedene Formulare in größeren Mengen bei entsprechenden Verlagen gekauft, säuberlich in Materiallagern aufbewahrt und kontinuierlich an alle Arbeitsplätze verteilt bzw. in die Auslagen der Bürgerbüros sortiert werden.

Matthias Eisenblätter, damals noch als Produktmanager beim Kohlhammer-Verlag beschäftigt, erkennt damals, vor genau 20 Jahren, das enorme Potenzial elektronischer Formulare, fasst sich ein Herz und macht sich mit einer sehr einfachen Geschäftsidee selbständig. Auf der Grundlage seines Verwaltungswissens bietet er Kommunen einfach an, Ihnen sämtliche benötigten Formulare und Vorlagen als PDF-Dokumente stets aktuell und elektronisch zu liefern, die bei Bedarf einfach am Arbeitsplatz oder sogar bereits vom Bürger von zu Hause ausgedruckt werden können. Keine Transport- und Lagerkosten, weniger Wege für die Bürger – das Internet machte es möglich.

Herr Eisenblätter, als Gründer der Form-Solutions gehören Sie zu den E-Government-Pionieren in Deutschland. Wussten Sie damals schon, dass der Leistungskatalog der öffentlichen Verwaltung knapp 6000 Leistungen umfasst?

Ehrlich gesagt nein. Meine Schätzung lag so im mittleren dreistelligen Bereich. Und leider lag ich auch mit ein paar weiteren Annahmen ziemlich daneben – z.B. hinsichtlich der länderspezifischen oder sogar örtlich verschiedenen Anforderungen an Formulare sowie auch hinsichtlich der Intervalle notwendiger Änderungen auf der Basis entsprechender gesetzlicher Regelungen. Alles in allem bin ich heute sehr froh, dass ich mich als motivierter Gründer für meine ersten Kunden damals einfach an die Arbeit gemacht habe.

Inzwischen ist aus dem Wissen um die informationstechnischen Elemente von Verwaltungsformularen ja fast eine Wissenschaft entstanden. Was halten Sie vom Konzept des Föderalen Informationsmanagements des IT-Planungsrats?

FIM ist der aktuelle Versuch, die bereits in den frühen 2000ern begonnene Standardisierung voranzutreiben. LeiKa und FIM, aber auch einige XÖV-Standards, waren und sind sehr wertvolle Vorarbeiten für die notwendige Digitalisierung sämtlicher Prozesse im Bereich der öffentlichen Verwaltung – ohne diese Vorarbeiten wäre auch der OZG-Prozess keinesfalls da, wo er heute ist.

Aktuell reift aber erst die Erkenntnis, dass jeder einzelne FIM-Prozess oft zahlreiche inhaltliche Berührungspunkte und Überschneidungen mit anderen Prozessen und Fachbereichen hat – genau das macht die Spezifikation aktuell so schwierig. Und auch in den Laboren standen diese semantischen Aspekte oft nicht im Fokus. Diese sind für eine optimale Kundenorientierung und die Umsetzung von OnceOnly-Prinzipien jedoch essentiell. Hier sind wir mit unseren bei vielen Kommunen bereits im Einsatz befindlichen intelligenten Assistenten ehrlich gesagt deutlich weiter.

Bleiben wir mal beim OZG. Die Umsetzung ist ja aktuell das TOP-Thema auf allen föderalen Ebenen. Mehr als 3 Mrd. stellt allein der Bund zusätzlich zur Verfügung. Wird die flächendeckemde Umsetzung Ihrer Meinung nach bis Ende 2022 gelingen?

Das wird in erster Linie vermutlich entscheidend davon abhängen, wie man den „Erfolg“ der Umsetzung definiert. Einige besonders schicke deutschlandweit genutzte Online-Anwendungen und viele sehr einfache „Universal“-Prozesse auf Landesebene greifen hier natürlich deutlich zu kurz. Für den „Erfolg“ auf kommunaler Ebene ist zum Beispiel eine optimale Anbindung einer Vielzahl von Fachverfahren entscheidend. Und genau hier braucht es meines Erachtens aktuell eine noch deutlich stärkere Einbindung kommunaler Expertise aus Verwaltung und Wirtschaft hinsichtlich bereits bestehender Lösungen im Bereich der kommunalen Rechenzentren.

Sind denn die Kompetenzträger im Bereich elektronische Formulare und kommunale Fachverfahren derzeit nicht überall mit dabei?

Nicht unbedingt. Wir beobachten da große Unterschiede. Während man in einigen Bundesländern z.B. unser Antragsmanagement als zentrales verbindendes Infrastrukturelement mit wichtigster Bedeutung sieht, sehen sich andere Bundesländer mit der Selbsterstellung der OZG-Prozesse nach dem EfA-Prinzip richtig aufgestellt. Das ist prinzipiell auch legitim und schlüssig, dürfte mit Blick auf die flächendeckende Umsetzung in 11.000 Kommunen bis Ende 2022 jedoch kaum ausreichen. Schließlich gilt es auch immer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen.Ganz zu schweigen von der ebenfalls überall und gleichzeitig flächendeckend zu leistenden Einbindung kommunaler Fachverfahren sowie der von Kommunen oft zwingend benötigten Regionalisierung bzw. Individualisierung der Online-Dienste.

Wie könnte es besser gelingen?

Aus meiner Sicht, kann und sollte man das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir brauchen ohne Zweifel auf Bundes- und Landesebene leistungsfähige und nutzerfreundliche Serviceinfrastrukturen und idealerweise auch möglichst viele länderübergreifende plattformbasierte EFA-Lösungen aus dem laufenden OZG-Prozess. Doch wir sollten unbedingt auch die Potenziale der bereits bestehenden Lösungen im Bereich der intelligenten Assistenzsysteme nicht unterschätzen – sondern strategisch für die OZG-Umsetzung nutzen.

Hier gibt es nicht nur wertvolle konzeptionelle Vorarbeiten, sondern diese Lösungen sind häufig ja bereits nahtlos z.B. mit kommunalen Fachverfahren, eAkte/DMS- oder E-Payment-Systemen verbunden. Dieses Potenzial können und sollten vor allem die Bundesländer noch systematischer erschließen und nutzen – z.B. auf der Basis einer kommunalen „Umsetzungsallianz“ mit den kommunalen Rechenzentren und den Kompetenzträgern im Bereich der E-Government-Szene. Wir haben allein am Standort Karlsruhe fast 50 Mitarbeiter, die sich seit Jahren (!) mit LeiKa, FIM und Fachverfahren beschäftigen. Eine enge und pragmatische Zusammenarbeit mit den Bundesländern könnte ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine flächendeckende OZG-Umsetzung sein.